Wissenschaft
7. Dezember 2009
Willkommen in Europas Metropolen? Symposium beleuchtet Integration jüdischer ImmigrantInnen
Inwieweit jüdische ImmigrantInnen in Europas Metropolen bis zum Beginn des 20. Jh. ein neues Zuhause fanden – ob sie integriert oder ausgeschlossen wurden –, das zeigt ein vom 10. bis 13. Dezember in Wien stattfindendes Symposium. Der Fokus des Symposiums mit über 30 renommierten MigrationsforscherInnen aus den USA, Israel und Europa liegt darauf, die jüdische Integration im europäischen Vergleich zu untersuchen. Dabei ist es das Ziel des Organisators Dr. Ingo Haar – Lise-Meitner-Stipendiat des Wissenschaftsfonds FWF –, jüdische Migration nicht als Sonderfall zu sehen, sondern diese in den Kontext der allgemeinen Migrationsforschung zu setzen.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts, verstärkt aber seit 1880/90 wanderten mehrere Millionen Juden und Jüdinnen u. a. aufgrund von Pogromen aus dem damals geteilten Polen, aus Rumänien und Russland ins westlichere Europa. Manche machten hier auch Zwischenstation auf dem Weg nach Nord- und Südamerika. Die überwiegende Mehrheit der jüdischen MigrantInnen ließ sich – wie andere MigrantInnengruppen auch – in Städten nieder.
Wie sich die jüdischen ImmigrantInnen zur damaligen Zeit – noch vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus – in die städtischen Gesellschaften integrieren konnten, beleuchtet vom 10. bis 13. Dezember ein Symposium in Wien unter dem Titel „Jewish Migration to the Metropolises of Europe, 1848–1918: A Comparative Perspective“. Dieses setzt die jüdische Migration ganz bewusst in den Kontext der allgemeinen Migrationsforschung, um Ausschließungs- und Einschließungsformen in „modernen Gesellschaften“ gegenüber den jüdischen Zuwanderern und Zuwanderinnen aufzuzeigen.
Komplexe Realität
„Bisher wurde die jüdische Migrationsgeschichte häufig aus zwei Perspektiven erzählt: Eine Position geht davon aus, dass Juden bereits im 19. Jahrhundert Opfer von Antisemitismus und eines darauf beruhenden Ausschlussprozesses waren; ein anderes Modell geht von einer erfolgreichen Integration zu dieser Zeit aufgrund starker Anpassungen an die christlich-katholische Mehrheitsgesellschaft aus“, so der Symposiumsorganisator Dr. Ingo Haar vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, und fährt fort: „Eine solche Darstellung greift jedoch zu kurz. Denn Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Modellen – die durchaus nebeneinander existiert haben können – werden nicht sichtbar und Entwicklungen, die der
allgemeinen Migrationsforschung bekannt sind, wie z. B. Desintegration, Exklusion oder Segregation, blieben bislang unberücksichtigt. Die komplexe Realität von verschachtelten und gleichzeitig existierenden Einschluss- und Ausschlussmechanismen wird nicht widergespiegelt. Diese Forschungslücke werden wir jetzt mit dem Symposium schließen.“
Die Beiträge von über 30 renommierten MigrationsforscherInnen aus den USA, Israel und Europa beleuchten dabei die Integration jüdischer ImmigrantInnen in verschiedenen europäischen Metropolen, um diese einem Vergleich zuzuführen. Folgende Fragen stehen dabei u. a. im Fokus: Wie wirkten sich damals herausbildende Nationsverständnisse auf die jüdische Integration aus, wie funktionierte die jüdische Selbstorganisation oder gab es „parallele Gesellschaften“ und vom wem wurden sie wie konstituiert?
Wien & Berlin im Vergleich
Ausgangspunkt für das Symposium war ein Lise-Meitner-Projekt des FWF – ein Programm, welches hoch qualifizierten ausländischen ForscherInnen zur Verfügung steht, die Österreichs Forschung auch durch neue innovative Ansätze bereichern – unter dem Titel „Jewish Migration and Integration in Vienna und Berlin“, wie Dr. Haar erläutert: „Im Rahmen meines Forschungsprojektes untersuche und vergleiche ich aktuell die jüdische Integration in der Habsburgermonarchie und im Deutschen Kaiserreich anhand von Wien und Berlin. Dabei bilden die historische Demografie und Sozialstruktur der hier ansässig gewesenen Juden und Jüdinnen, die Herausbildung ihrer Interessenvertretungen in Hinblick auf die Bekämpfung des Antisemitismus und ihre aktive und symbolische Partizipation an der politischen Kultur die drei wesentlichen Forschungsbereiche. Für mich war es eine logische Konsequenz, die sich abzeichnenden Resultate im Rahmen eines Symposiums gemeinsam mit Forscherkollegen und -kolleginnen nun auch in einem gesamteuropäischen Kontext zu betrachten und zu diskutierten. Das war für mich auch die Motivation, das nun stattfindende Symposium auf die Beine zu stellen“.
Ziel des Symposiumsorganisators ist es, dass die Erkenntnisse durch das Lise-Meitner-Projekt des FWF und das Symposium dazu beitragen, die Komplexität von Integrationsprozessen im Allgemeinen zu erfassen – und uns so aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen lassen.
Programm zum Download unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=12813 Bild und Text ab Montag, 7. Dezember 2009 ab 09.00 Uhr MEZ verfügbar unter: http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/pv200912-de.html
Wissenschaftlicher Kontakt: Dr. Ingo Haar
Universität Wien
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Dr. Karl-Lueger-Ring 1 1010 Wien
T +49 / 7531 / 88 5110
E ingo.haar@univie.ac.at
Der Wissenschaftsfonds FWF: Mag. Stefan Bernhardt
Haus der Forschung Sensengasse 1
1090 Wien T+43/1/5056740-8111 E stefan.bernhardt@fwf.ac.at
Redaktion & Aussendung: PR&D – Public Relations für Forschung & Bildung Campus Vienna Biocenter 2 1030 Wien T+43/1/5057044
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Wien, 7. Dezember 2009