Wissenschaft
26. September 2019
Hohe Medikamentenkosten trotz öffentlicher Forschungsförderungen in Millionenhöhe
Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment identifiziert öffentliche Förderungen bei der Entwicklung hochpreisiger Medikamente. Neues Investigationsverfahren will Beitrag zu mehr Transparenz schaffen. Drei Pilotstudien durchgeführt.
Neu entwickelte Medikamente sind immer öfter extrem teuer. Dies stellt Gesundheitssysteme vor neue Herausforderungen. Die OECD befasst sich bereits seit einiger Zeit mit diesem Problem, da es den sogenannten „Zugang zu Medikamenten“ (Access to Medicines) einschränkt. Im Mai dieses Jahres verabschiedete nun auch die World Health Organization WHO eine Resolution, die mehr Transparenz bei der Preisbildung von Medikamenten einfordert. Das Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment (LBI-HTA) in Wien hat jetzt genau dafür Methoden entwickelt. Sie erlauben die Identifizierung von öffentlichen und philanthropischen Geldmitteln, die in die Entdeckung und Entwicklung eines zugelassenen Medikaments geflossen sind.
Viel Geld. Wenig Transparenz.
„Wir haben unsere Methode vorerst an drei Medikamenten untersucht und konnten für alle drei Förderungen in mehrstelliger Millionenhöhe nachweisen“ stellt Priv. Doz. Dr. phil. Claudia Wild, Leiterin des LBI-HTA, die Quintessenz der Studie dar. „Diese wurden zu unterschiedlichen Stadien der Entdeckung und Entwicklung des Medikaments aus öffentlichen oder philanthropen Quellen bereitgestellt. Verkauft werden alle drei Medikamente durch Pharmaunternehmen.“ Die drei untersuchten Medikamente sind: Nusinersen (gegen Rückenmarksatrophie, eine seltene neuromuskuläre Störung), Cerliponase alfa (zur Behandlung einer Erbkrankheit bei Kindern, die zu fortschreitenden Hirnschäden führt) sowie Burosumab (gegen eine genetische Erkrankung von Kindern, die zu schwachen Knochen und lebenslangen körperlichen Behinderungen führen kann). Alle drei Medikamente wirken gegen sogenannte Seltene Erkrankungen bei Kindern.
„Die hohen F&E-Kosten werden von den Herstellern oft als Grund für hohe Medikamentenkosten angegeben, daher erscheint Transparenz über öffentliche Forschungsförderbeteiligungen sehr wichtig. Genau die ist aber nicht gegeben“, erläutert Dr. Wild. Dabei liefert eigentlich oft die – öffentlich und philanthropisch finanzierte – Grundlagenforschung jene Entdeckung oder zündende Idee, die später in einem Medikament Anwendung findet – und ist gleichzeitig mit hoher Ergebnisunsicherheit und Ressourcenaufwand verbunden.
Puzzeln für Transparenz
Das LBI-HTA nahm sich dieser Intransparenz nun an und brachte etwas Licht in das Förderdunkel. „Tatsächlich mussten wir dazu eine ganze eigene Suchmethodik entwickeln, um aus zahlreichen öffentlichen Quellen Puzzlestücke an Informationen zusammenzusetzen, die am Ende die enormen Fördersummen ergaben“ meint Dr. Wild, deren nun entwickelte Vorgehensweise diese Informations-Odyssee in drei Stufen strukturiert:
- Stufe: Alle generischen wie molekularen Namen und Begriffe des Arzneimittels bzw. dessen Wirkstoffes werden identifiziert. Dies geschieht für den gesamten F&E-Prozess sowie in mehreren relevanten Datenbanken (wie z. B. DrugBank, ChEMBL, Therapeutic Target Database)
- Stufe: Der Entwicklungspfad des Medikaments bis zur Zulassung wird mittels weiterer Datenbanken eruiert (z. B. Orphanet, WHO international trial register, US Clinical Trials.Gov, EU clinical trials registry, FDA orange book, Espacenet, Health Canada Patent, PubMed u.v.m.)
- Stufe: Es wird eine systematische Suche nach Forschungsförderungen auf Grundlage der identifizierten Namen und Entwicklungspfade in weiteren Datenbanken (z. B. NIH-RePORTER, CORDIS, IMI, EDCTP und diverse philanthropische Datenquellen) durchgeführt.
Doch selbst mit dieser strukturierten Methode und trotz eines großen Engagements blieb das Bild über Förderungen bei der Entstehung der drei Medikamente lückenhaft. So konnten für die Entdeckung und Entwicklung von Cerliponase alfa zwar über 20 öffentlich oder philanthropisch finanzierte Projekte gefunden werden – doch deren Fördersummen waren oftmals nicht festzustellen. Dennoch zeigte sich, dass allein in Projekte, die der reinen Produktentwicklung dienten, 31 Millionen EUR Fördermittel geflossen waren. Ähnlich das Bild bei Burosumab: Zahlreiche öffentliche sowie einige philanthropische Projekte unterstützten die Entdeckung und Entwicklung der Arznei, doch die wenigen genannten Summen ließen nur 26 Millionen EUR identifizieren.
Neben vielen anderen Hindernissen (wie z. B. Sprachbarrieren – so wurde Burosumab maßgeblich in Japan entwickelt) war eine wesentliche Herausforderung der Erhebung die klare Definierung passender Suchfilter in den Datenbanken. Neben der Eingrenzung des Suchzeitraums stellte es sich auch oftmals als notwendig – aber schwierig – heraus, zwischen Grundlagenforschung und Produktentwicklung zu unterscheiden.
Doch bei aller Schwierigkeit erlaubt die vom LBI-HTA entwickelte Methode eine wesentliche Steigerung der Transparenz über den Einsatz öffentlicher und philanthropischer Mittel bei der Entdeckung neuer Wirkstoffe und der darauf aufbauenden Medikamentenentwicklung. So leistet das Projekt einen bedeutenden Beitrag zur aktuellen und internationalen Diskussion über „Public Return on Public Investment“.
Referenzen:
Schmidt L., Wild C. Public & philanthropic financial contribution to the development of new drugs.
LBI-HTA Project Report No.: 120; Year 2019. Vienna: Ludwig Boltzmann Institute for Health Technology Assessment. http://eprints.hta.lbg.ac.at/1214/
Rückfragehinweis:
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Priv. Doz. Dr. phil Claudia Wild Direktorin Ludwig Boltzmann Institute for Health Technology Assessment Garnisongasse 7/20 1090 Wien T +43 / 1 / 236 81 19-12 E Claudia.Wild@hta.lbg.ac.at |
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