Wissenschaft
19. Januar 2009
Arbeiten & forschen mit intellektueller Beeinträchtigung
Wie Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung den Berufseintritt und die Berufsausübung erfahren, erhebt jetzt ein Forschungsprojekt des Wissenschaftsfonds FWF. Im Gegensatz zu den wenigen vergleichbaren Studien, die eher die Sicht von Außenstehenden berücksichtigen, wird im Rahmen dieses Projektes das tatsächliche Erleben der betroffenen Menschen erfasst. Dabei werden auch Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung als „ExpertInnen in eigener Sache“ in die Interpretation der Daten einbezogen.
Obwohl in verschiedenen Projekten nachgewiesen wurde, dass Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung bei geeigneten Hilfestellungen auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehen können, sind sie in Österreich fast ausschließlich auf einen Ersatzarbeitsmarkt aus Werkstätten mit Arbeits- und Beschäftigungstherapie angewiesen. Eine Ursache für diese unzulängliche Situation besteht nicht zuletzt im Mangel gesellschaftlichen Wissens, bedingt auch durch das Fehlen angemessener wissenschaftlicher Grundlagenforschung. Ein Projekt der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien versucht hierfür die dringend benötigte Datengrundlage zu schaffen.
Berufliche Teilhabe erleben
Prof. Gottfried Biewer vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien, Leiter der Studie, umreißt das anspruchsvolle Ziel des umfassenden Projektes in knappen Worten: „Wir erheben und analysieren die subjektiv erlebten Erfahrungen von intellektuell beeinträchtigten Menschen während ihrer Teilnahme am Berufsleben – und im Übergang von der Schule dorthin. Diese Erfahrungen sind häufig von Kränkungen und Zurückweisungen geprägt, auch wenn AkteurInnen des Bildungs- und Sozialwesens nur die besten Absichten verfolgen. Darum ist es auch so wichtig, die Betroffenen selbst zu befragen und mit diesen Daten ihre Lebenswelt unter Bezugnahme auf die persönlichen, familiären und beruflichen Umgebungen zu rekonstruieren.“
Beruf & Forschung
Die Forschung versteht sich primär als Langzeitstudie, die sich intensiv mit den Partizipationserfahrungen von zwei Gruppen in unterschiedlichen Lebensphasen auseinandersetzt. Es sind zum einen Jugendliche, die die Schule verlassen, eine problemgeladene Übergangsphase durchlaufen und danach häufig einen Platz im Berufsleben finden, der weder Erwartungen noch Möglichkeiten entspricht. Die zweite Gruppe umfasst erwachsene Menschen, die kaum im regulären Arbeitsmarkt Aufnahme finden konnten und deren
berufliche Tätigkeit als Arbeits- und Beschäftigungstherapie betrachtet wird. Es ist vor allem das Datenmaterial für diese Langzeitbeobachtung, das zum Gegenstand partizipativer Forschung gemacht wird. Behinderte Menschen bringen eigene Interpretationen von Aussagen in Interviews, die die Sichtweise der professionellen ForscherInnen nicht selten um unerwartete Aspekte erweitern. Auch diese Tätigkeit wird im Forschungsprojekt beobachtet und unter erkenntnistheoretischem Aspekt reflektiert.
Daten zum Arbeitsmarkt
Die Studie betritt aber nicht „nur“ methodisches Neuland, sondern erhebt auch umfassend Daten zum relevanten Arbeitsmarkt mit konventionellen Methoden. So wird mit Jahresbeginn eine Totalerhebung von Strukturdaten aus dem Ersatzarbeitsmarkt sowie von Daten über den Zugang intellektuell beeinträchtigter Menschen zu arbeitsmarktpolitischen Unterstützungsmaßnahmen erfolgen. Ab dem Frühjahr werden dann auch noch möglichst alle SchülerInnen mit intellektueller Beeinträchtigung, die im Jahr 2009 in Österreich die Schule verlassen und ins Arbeitsleben eintreten, im Rahmen einer Verlaufsanalyse erfasst. Dabei freut sich Prof. Biewer über das große Interesse, das staatliche Stellen und Trägerorganisationen der Behindertenhilfe diesem Vorhaben entgegenbringen. Es handelt sich nämlich ausnahmslos um Daten, die auch als Planungsgrundlage für den Sozial- und Bildungsbereich relevant werden könnten, die für Österreich aber noch nie systematisch erfasst wurden. Daher unterstützt sowohl das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz als auch das BM für Unterricht, Kunst und Kultur die bundesweiten Datenerhebungen. Als hilfreich hat sich die Einbindung des Projektes in den universitären Lehr- und Forschungsbetrieb erwiesen. Dr. Helga Fasching, die neben den drittmittelfinanzierten ProjektmitarbeiterInnen Oliver Koenig und Petra Pinetz verantwortlich im Projekt mitarbeitet, meint hierzu: „Der Umfang der Datenerhebung ist nur zu bewältigen, indem wir auf eine große Anzahl von Studierenden zurückgreifen, die mit ihren Studienabschlussarbeiten einen wichtigen Beitrag zur Datensammlung leisten, gleichzeitig aber auch ihre wissenschaftliche Methodenkompetenz nachweisen können.“
Bild und Text ab Montag, 19. Jänner 2009, 09.00 Uhr MEZ verfügbar unter: http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/pv200901-de.html
Wissenschaftlicher Kontakt: Prof. Gottfried Biewer Universität Wien
Institut für Bildungswissenschaft, Sonder- und Heilpädagogik Universitätsstr. 7
1010 Wien
T +43 / 1 / 4277 – 46800
E gottfried.biewer@univie.ac.at
Wien, 19. Jänner 2009
Der Wissenschaftsfonds FWF: Mag. Stefan Bernhardt
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