Wissenschaft
27. Oktober 2014
Im Taumel liegt die Kraft: Eine Ressource für Kunst und Denken
Der Taumel als Seinszustand kann Transformation und Innovation auslösen. Das ist die zentrale These eines vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten, soeben gestarteten Projekts. Untersuchungsgegenstand ist dabei der Taumel in Erfahrung und Reflexion sowie seine Auswirkungen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und der zeitgenössischen Kunstproduktion. Wie sich der Taumel in der filmischen Kunstproduktion darstellt, wird die Sammlung, Generierung und Analyse unterschiedlichsten Text- und Filmmaterials demonstrieren. Ziel des Projekts ist, das Potenzial des Taumels für Transformations- und Innovationsprozesse zu veranschaulichen und einen wissenschaftlich-künstlerischen Diskurs darüber anzuregen, inwieweit sich Spuren des Taumels in allen transformativen Prozessen feststellen lassen.
Der Taumel destabilisiert und setzt Dinge in Bewegung. Nach Plato stellt er den Ursprung des Denkens dar, weil er in uns das destabilisieren kann, was wir als unverrückbar annehmen. Der Taumel steht nun im Zentrum des vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten künstlerischen Forschungsprojekts „Dizziness – A Resource“. Dieses widmet sich der Untersuchung der Erfahrung und der Reflexion des Taumels in der Moving Image Art. Unter Einbezug verschiedener Forschungsrichtungen sollen Materialien und Ressourcen für die zeitgenössische Kunstproduktion verfügbar gemacht und innerhalb eines Filmprojekts angewandt werden.
Ins Heureka stolpern
Den Zustand des Taumelns beschreibt die Leiterin des Projekts „Dizziness – A Resource“, Mag. Ruth Anderwald, Künstlerin an der Akademie der bildenden Künste Wien: „Im künstlerischen, philosophischen und wissenschaftlichen Denken beginnt man zu taumeln, wenn man sich angesichts eines Problems an die Grenzen seines Wissens bewegt. Man muss beginnen, Mittel zur Navigation im Unbekannten zu generieren. Für die Sokratiker war das Taumeln die Bewegungsform der Erkenntnisfindung, da die taumelnde Bewegung den Blick auf neue Perspektiven öffnet.“ Die Wirkungsweise und das Potenzial dieses psychischen und physischen Zustands werden nun im Projekt untersucht. Denn nur durch einen potenziellen Perspektivenwechsel kann ein innovativer, gänzlich neuer künstlerischer oder wissenschaftlicher Gedanke entstehen. Um dem Taumel als Forschungsgegenstand gerecht werden zu können, ist im Projekt ein Zugang notwendig, der Kunst und Wissenschaft als zwei Dimensionen desselben kulturellen Raumes versteht. Dieser Brückenschlag birgt Herausforderungen, denn die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen und ihren heterogenen Theorien, Methoden, Materialien und Denkmustern erfordert eine stetige Übersetzungsleistung. Mag. Anderwald dazu: „Ganz wichtig ist die begriffliche Genauigkeit. Dies verlangt ein ständiges Überprüfen der Begrifflichkeiten zwischen den am Projekt
Beteiligten, damit alle Expertinnen und Experten mit ihrem Know-how jeweils an der richtigen Stelle andocken können.“
(Be)Rauschende Quelle
Die eigens für das Projekt generierte Plattform www.on-dizziness.org ermöglicht eine gute Vernetzung und Sichtbarkeit des Projekts. Durch den Austausch der ExpertInnen auf der Website werden Prozesse nachvollziehbar dokumentiert und themenrelevante Materialien aus den unterschiedlichsten Forschungsdisziplinen publiziert. Diese reichen von künstlerischen zu medizinischen Kurzfilmen, über kulturwissenschaftliche Texte und Analysen bis hin zu Studien der Kreativitätsforschung. Die Online-Research-Library zeigt die wissenschaftlichen und künstlerischen Denkweisen und Richtungen innerhalb des Projekts. Kurze erläuternde Texte werden die Materialien begleiten. Dem künstlerischen Bedürfnis nach Pluriperspektivität wird hier Hand in Hand mit Wissenschaft und Forschung nachgegangen.
Die E-Publikation begleitet als prozessorientiertes Recherchearchiv die Produktion eines 20- minütigen Films, an dem Mag. Anderwald als Teil des Künstlerduos Anderwald + Grond maßgeblich beteiligt ist. Als theoriegeleitetes Experiment wird dessen Struktur einen Bezug zur medizinischen Dynamik des Taumels herstellen. Begleitende Film-Screenings im Rahmen der international etablierten „HASENHERZ“-Reihe, Workshops und eine Konferenz bieten Gelegenheiten zur (Re)Fokussierung und Diskussion.
So wird das Erkenntnispotenzial dieses zentralen menschlichen Seinszustands im Rahmen dieses FWF-Projekts aufgezeigt werden. Ein Paradebeispiel für eine über sich hinausweisende kulturwissenschaftliche Arbeit und dafür, wie Grundlagenforschung einen zentralen Diskursbeitrag für wissenschaftlich-theoretische Arbeiten in den unterschiedlichsten Disziplinen sowie für die künstlerische Praxis darstellen kann.
Bild und Text ab Montag, 27. Oktober 2014, ab 10.00 Uhr MEZ verfügbar unter: http://www.fwf.ac.at/de/wissenschaft-konkret/projektvorstellungen/2014/pv201410/
Wissenschaftlicher Kontakt: Mag. Ruth Anderwald Akademie der bildenden Künste Wien
Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften Schillerplatz 3
1010 Wien
T +43 / 699 / 109 84 551
E contact@anderwald-grond.at
Wien, 27. Oktober 2014
Der Wissenschaftsfonds FWF: Marc Seumenicht
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