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Wissenschaft

13. Februar 2006

Hilfe für die Nikobaren & Andamanen – guter Wille, große Summen, wenig Erfahrung

Umfassende Feldstudien tragen ein Jahr nach dem verheerenden Tsunami zum Überleben einer der letzten eingeborenen Kulturen bei. Die gewaltige Flutwelle hat den Stämmen der Andamanen- und Nikobaren-Inseln nicht nur wichtige Lebensgrundlagen, sondern auch ihre kulturelle Identität geraubt. Ein nun startendes Projekt des Wissenschaftsfonds FWF setzt auf wissenschaftliche Untersuchungen, um den InselbewohnerInnen Optionen für eine nachhaltige Zukunft aufzuzeigen. Diese sollen dabei auch gleich vor der nächsten drohenden Gefahr geschützt werden: einer unkontrollierten Hilfswelle.

Die Tsunami-Katastrophe hat nicht nur tausende Tote gefordert, sondern droht nun auch eine der letzten indigenen Kulturen auf der Andamanen-Nikobaren-Inselgruppe auszulöschen. Verhindern soll dies nun ein dreijähriges Projekt des Instituts für Soziale Ökologie der Fakultät für interdisziplinäre Forschung (IFF) der Universität Klagenfurt. Ziel des Projektes ist es, aufbauend auf Analysen der Landnutzung, der Material- und Energieverwendung sowie der Entscheidungs- strukturen der Einheimischen den InselbewohnerInnen beim Wiederaufbau zu helfen.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse des Projekts werden vor allem benötigt, um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten, die die Bedürfnisse der Eingeborenen und die sozialökologische Verträglichkeit berücksichtigt. Die von außen kommende Hilfe, die nach dem Tsunami angelaufen ist, soll die Kultur der Urbevölkerung wieder beleben und ihr nicht noch weiteren Schaden zufügen.

Schädigung durch Hilfe

Mit an Bord des von Prof. Marina Fischer-Kowalski geleiteten Projektteams ist Dr. Simron Jit Singh. Als einer von wenigen WissenschafterInnen hat er Zutritt zur Andamanen-Nikobaren- Inselgruppe, die er seit Jahren erforscht. Dr. Singh erklärt: „Bis zum Tsunami lebten die Stämme der Andamanen- und Nikobaren-Inseln als eines der abgeschiedensten Völker der Welt. Mit der Flutwelle wurden nicht nur mindestens ein Drittel der Inselbewohner getötet und die Inseln zerstört. Auch Totems, traditionelle Bekleidung und Festplätze, die für die Urbevölkerung identitätsstiftend waren, wurden ihnen vom Meer genommen. Teile ganzer Generationen mit Wissen über Riten und Fähigkeiten sind ausgelöscht.“

Die Situation noch verschlimmern könnten jetzt Hilfsleistungen aus einer fremden, modernen Welt. Beträchtliche Geldzuflüsse können katastrophale Konsequenzen für die Kultur dieser Menschen haben, die sich bisher durch Fischerei, Jagd, Pflanzenanbau und Handel mit Kokosnüssen selbst erhalten haben. Hilfsleistungen, die nicht zur Wiederherstellung der ursprünglichen Lebensart beitragen, drohen die Stammesmitglieder weiter zu entwurzeln.

Wege in die Zukunft

Um diese Gefahren zu vermeiden, ist der Stammesrat an Dr. Singh und seine KollegInnen herangetreten und hat um Hilfe und Beratung beim Wiederaufbau gebeten. Das soeben gestartete Projekt reagiert auf diesen Ruf nach Hilfe. Anhand wissenschaftlicher Feldanalysen wird ab März vor Ort untersucht, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, um die ursprüngliche Lebensweise wiederherzustellen.

Dr. Singh stellt den Projektablauf folgendermaßen dar: „In einem ersten Schritt wird das sozio- ökologische System der Andamanen-Nikobaren-Inseln analysiert. Gespräche mit den InteressenvertreterInnen der Stämme werden den ForscherInnen ein Bild über konkrete Probleme nach dem Tsunami geben. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden dem Forschungsteam anschließend helfen, mögliche Zukunftsszenarien für die Einheimischen zu entwickeln sowie konkrete Hilfsprojekte zu starten und nach Abschluss zu evaluieren.“

Zurückgreifen kann das Forschungsteam bei seinen Analysen auch auf die ausführlichen Arbeiten von Dr. Singh. Dieser hatte noch vor dem Tsunami die Kultur der BewohnerInnen der ehemaligen österreichischen Kolonie der Nikobaren ausführlich in einem Buch dokumentiert – ohne zu ahnen, dass bald alle Lebensgrundlagen zerstört sein würden. Nach dem Tsunami hat Dr. Singh einen Bildband veröffentlicht. 500 Bücher wurden an die Nikobaresen verteilt und sollen den Menschen Optionen bei der Wiederbelebung ihrer Kultur anbieten.

Im Rahmen des Forschungsprojekts wird auch der Sustainable Indigenous Futures (SIF) Fonds bei der Verwendung der Spendengelder für die Sicherung einer nachhaltigen Zukunft für die Stämme der Andamanen-Nikobaren-Inselgruppe beraten. Der Fonds ist eine Hilfsinitiative Österreichs nach dem Tsunami und wurde vom IFF Soziale Ökologie gemeinsam mit André Hellers Initiative „Austria for Asia“ und der Caritas Österreich gegründet. Die Finanzierung des Forschungsprojektes übernimmt der FWF – und hilft damit, eine der letzten indigenen Kulturen der Welt zu retten.

Wissenschaftlicher Kontakt: Dr. Simron Jit Singh
IFF Soziale Ökologie Schottenfeldgasse 29 A-1070 Wien

M +43 / 650 / 522 4001
E simron.singh@uni-klu.ac.at

Wissenschaftsfonds FWF: Mag. Stefan Bernhardt Weyringergasse 35 A-1040 Wien

T +43 / 1 / 505 67 40 – 36 E bernhardt@fwf.ac.at

Redaktion & Aussendung: PR&D – Public Relations for Research & Development Campus Vienna Biocenter 2 A-1030 Wien

T +43 / 1 / 505 70 44 E contact@prd.at

Wien, 13. Februar 2006