Wissenschaft
1. Februar 2016
Geliebter Herr „Indianer“: Künstlerische Gegenentwürfe zu Winnetou & Co
Die Reaktionen indigener Künstlerinnen und Künstler auf idealisierte „Indianer“-Darstellungen in deutschsprachigen Romanen und Filmen werden derzeit im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF untersucht.
Stolz, edel und naturverbunden: Karl Mays „Winnetou“ beeinflusst bis heute das Bild des „Indianers“ im deutschsprachigen Raum. „Dieses Klischeebild entspricht tatsächlich in keiner Weise der Realität der nordamerikanischen Ureinwohner. Kindheitserinnerungen und Sehnsüchte lässt man sich jedoch nur ungern nehmen. Das zeigen die Besucherrekorde der Karl May-Festspiele und der Erfolg von Filmen wie ‚Der Schuh des Mannitou'“, stellt Nicole Perry vom Institut für Germanistik der Universität Wien fest. Doch wie setzen sich indigene Künstlerinnen und Künstler mit diesem noch immer bestehenden Bild des „Indianers“ kritisch auseinander und rütteln an überholten gängigen Wahrnehmungsgewohnheiten? Diese Fragestellung behandelt sie nun im Rahmen eines Lise-Meitner-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF.
Sehnsucht & Projektionsfläche „Indianer“
Karl Mays und andere klischeebeladene „Indianer“-Darstellungen aus deutschsprachigen Romanen und künstlerische Gegenentwürfe werden im Projekt untersucht: „Die Darstellungsgeschichte des ‚Indianers‘ als naturverbundenem ‚Edlen Wilden‘ öffnet den Blick auf unterschiedliche dahinterstehende Ideologien sowie politische und sozio-kulturelle Umgebungen. Karl Mays Erfolg – seine Bücher wurden ja schon in der Erstauflage über 400.000 Mal verkauft – liegt auch darin begründet, dass er Gefühlslagen und Sehnsüchte seiner Zeit geschickt aufgriff“, erläutert Perry. Da waren zum Beispiel die Sehnsucht nach der Bildung einer Nation oder Kolonialfantasien, aber auch romantische, anti-modernistische Wünsche nach einer Rückkehr zur Natur. Für all dies dienten literarische „Indianer“-Figuren als Projektionsfläche. Die romantisierte Naturverbundenheit mündete in einer Darstellung von „Indianern“ als sterbende vormoderne Kultur, deren Rettung in der Europäisierung und Christianisierung lag.
Naturburschen als Kunstfiguren
Den Schwerpunkt des Projekts bilden zahlreiche Fallstudien zeitgenössischer Widerstandsformen gegen dieses schablonenhafte „Indianer“-Bild. Tatsächlich greifen indigene Künstlerinnen und Künstler dieses Bild seit einiger Zeit auf und inszenieren es in neuen Umgebungen, um so die Diskussion darüber anzuregen und ein Umdenken zu provozieren. Zu den Fallbeispielen, die Perry untersucht, zählt der kanadische Künstler Kent Monkman mit seinem Alter Ego „Miss Chief Testickle“, einer Kunstfigur vergleichbar mit Conchita Wurst, die mit High Heels und Federschmuck auftritt. Monkman agiert dabei geschickt medienübergreifend und sprengt gängige Genderstereotypen des „Indianers“ als Naturbursch. Anders agiert der Musiker und Filmemacher Bear Witness, der eine weitere Fallstudie in Perrys Projekt bildet. Er stellt in einer Montagetechnik Karl May Filmszenen Aufnahmen von „Wolf Hatfield“, einer „indianischen“ Kämpfer-Figur aus dem Videospiel „Virtual Fighter V“ gegenüber und verdeutlicht, in Perrys Untersuchung, damit die Künstlichkeit beider Darstellungen. Ein weiteres von Perry detailliert untersuchtes Beispiel ist der Künstler Darryl Nepinak. Seinen Film „Zwe Indianer aus Winnipeg“ taufte er nach dem gleichnamigen deutschen Schlager. Im Gegensatz zu diesem erfahren seine zwei Hauptfiguren jedoch im „Sebastian Schweinsteiger See“ nicht die Taufe zu Christen, sondern einen Wandel zu Ureinwohnern. In einer anderen Fallstudie widmet sich die Forscherin Drew Hayden Taylors Theaterstück „Berlin Blues“: Dieses zeigt die Errichtung eines Themen-Parks für deutsche Touristen in einem Ojibway Reservat und, in Perrys Analyse, den Wunsch nach der Performance des „Indiander“-Bildes im Gegensatz zu Authentizität.
Die Reaktionen auf diese Neuinterpretationen sind kontrovers, wie Perry betont: „Filmische Gegenentwürfe wurden in einer moderierten Filmvorführung mit Besprechung, dem Forum ‚Culture Shock Panel‘ auf der Berlinale, und davor auf dem imagineNATIVE Film Festival in Toronto gezeigt. Der enthusiastischen Aufnahme in Kanada folgten kontroverse Diskussionen auf der Berlinale.“
Das FWF-Projekt bietet nun erstmals eine differenzierte Basis für die Auseinandersetzung mit bisher im deutschsprachigen Raum wenig bekannten indigenen Antworten auf klischee-beladene „Indianer“-Darstellungen. So werden ideologische Ideen einer nationalen, kulturellen und genderspezifischen Identität hinter stereotypen Darstellungen hinterfragt.
Zur Person
Nicole Perry absolvierte ihr Masterstudium an der McGill University in Montreal und dissertierte 2012 an der University of Toronto. Seit 2009 ist die Ernst-Mach-Stipendiatin an der Universität Wien in Forschung und Lehre tätig. Im Rahmen eines Lise-Meitner-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF führt sie dort Ihre Forschungsarbeiten weiter. Schwerpunkte bilden dabei die Werke Charles Sealsfields sowie künstlerische indigene Reaktionen auf das deutsche „Indianer“-Bild.
Links zum Thema
Webseite des Künstlers Kent Monkman: www.kentmonkman.com
Bear Witness Kurzfilm „The Story of Apanatschi and Her Redheaded Wrestler“:
http://www.sawvideo.com/programming/mediatheque/video/story-apanatschi-and-her-redheaded-wrestler
Darryl Nepinaks Kurzfilm „Zwe Indianer aus Winnipeg“: https://vimeo.com/30534434
Bild und Text ab Montag, 1. Februar 2016, ab 10.00 Uhr MEZ verfügbar unter:
http://scilog.fwf.ac.at
Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Nicole Perry
Universität Wien
Institut für Germanistik
Universitätsring 1
1010 Wien
T +64 / 9 / 373 7599 – 87671
E nicole.perry@univie.ac.at
W http://www.univie.ac.at
Der Wissenschaftsfonds FWF:
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