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Wissenschaft

18. Dezember 2006

Die Kunst zu überleben: Private Kunstsammler in der UdSSR

Die international erste Gesamtdarstellung privater Kunstsammlungen in der UdSSR kommt aus Österreich und ist jetzt als Buch veröffentlicht worden. Auf Grundlage von bisher großteils unveröffentlichtem Material wird darin gezeigt, wie die lang repressierte private Sammlergemeinde die Sowjetzeit „überlebte“ – und so kulturelles Erbe sicherte. Möglich wurde das Buch durch intensive Forschung im Rahmen einer Hertha-Firnberg- Stelle, die vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wurde. Das Werk zeichnet dabei nicht nur ein umfassendes Bild von privaten KunstsammlerInnen in der ehemaligen Sowjetunion, sondern räumt gleichzeitig mit gängigen Mythen auf.

Die Russische Revolution im Jahr 1917 brachte ein Verbot von Privateigentum mit sich, wodurch auch privater Kunstbesitz fast ausnahmslos verboten wurde. Doch nicht alle KunstsammlerInnen ließen sich abschrecken und fanden Wege, einer Verfolgung zu entgehen. Ein jetzt veröffentlichtes Buch dokumentiert diese Wege aufgrund von fundierten wissenschaftlichen Belegen erstmals umfassend.

Das Ergebnis ist eine international einzigartige Darstellung der Entwicklung und Eigenschaften des privaten Sammelmarktes in der Sowjetunion, eines Marktes, der offiziell nicht existierte. Unter dem Titel „Gerettete Kultur: Private Kunstsammler in der Sowjetunion, 1917–1991“ schildert Dr. Waltraud Bayer von der Universität Graz, Institut für Geschichte, die Situation von der Revolution bis zur Perestrojka. Dabei zeigt sie detailreich, welche konkreten Voraussetzungen SowjetbürgerInnen erfüllen mussten, um Kunst ansammeln zu können.

Schutzurkunden

Der Großteil der KunstsammlerInnen gehörte der intellektuellen Schicht an. Vor allem das einstige Bildungsbürgertum und der Adel sammelten entgegen verbreiteter Annahmen anfangs unter widrigsten Bedingungen weiter. Erst ab den 1930er Jahren wurden sie von einer neuen sozialen Schicht abgelöst, wie Dr. Bayer ausführt: „Der Prototyp des sowjetischen Kunstsammlers war der gut ausgebildete Wissenschafter oder Kulturschaffende, der über das erforderliche Know-how, die einschlägigen Kontakte zu Mittelsmännern und Parteibürokratie, ausreichend finanzielle Mittel und reichlich Zeit verfügte.“

Aufgrund neuer Erkenntnisse räumt das Buch auch mit dem Mythos einer ständigen Konfrontation zwischen privater Sammlergemeinde und Staatsapparat auf. Vielmehr zeigt das Quellenmaterial, dass die beiden Kontrahenten wiederholt zur Zusammenarbeit bereit waren: Die wenigen übrig gebliebenen KunstsammlerInnen kooperierten oftmals mit dem sowjetischen Regime und erhielten bei politischem Wohlverhalten „Schutzurkunden“.

Gerettete Kultur

Gesammelt wurden vor allem jene Kunstobjekte, die in den Augen der offiziellen Kulturpolitik als „Müll“ galten und von dieser tabuisiert wurden. Dadurch erwies sich die Sammlergemeinde als Retter von Kulturerbe, so Dr. Bayer: „Im gleichgeschalteten System der Sowjetunion stellten die Privatkollektionen ein wichtiges Korrektiv zum offiziellen Kunstverständnis dar, da dieses viele kulturelle Strömungen ausklammerte. Die Sammlungen bewahrten damit nicht nur wertvolle Stücke aus Moderne, Avantgarde und Ikonenmalerei, sondern auch das historische Gedächtnis.“

Dieses Verdienst der KunstsammlerInnen wurde mit der Perestrojka schließlich auch gewürdigt. Die öffentliche Anerkennung zuvor verborgener Kunstwerke führte zu einem Boom an Ausstellungen. Einheimische SammlerInnen, die zu Sowjetzeiten vor allem durch kulturelles Fachwissen und gute Kontakte profitierten, konnten diese neuen Bedingungen jedoch nicht lange nutzen. Denn nach dem Umbruch wurden hohe finanzielle Mittel immer wichtiger – nicht selten übernahm eine neue ökonomische Elite ganze Kollektionen von ihren VorgängerInnen.

Erst aufwändige Recherchen in staatlichen wie privaten Archiven, Bibliotheken, Sammlungen und Museen im Rahmen einer Hertha-Firnberg-Stelle – eines Programms des FWFs zur Förderung von Frauen zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere – machten diese Erkenntnisse möglich. Recherchiert wurde dabei erstmals nicht nur in den kulturellen Zentren Moskau und St. Petersburg, sondern auch in vielen anderen Teilen der ehemaligen UdSSR. Einzigartig ist aber auch die Einbeziehung konkreter Einzelfälle auf Grundlage von 100 Kurzbiographien und Interviews. Aufgrund dieser in die Tiefe gehenden Untersuchungen und der neuen Erkenntnisse stellt das Buch nun eine hohe Messlatte für zukünftige Publikationen dar.

Bild und Text ab Montag, 18. Dezember 2006, 09.00 Uhr MEZ verfügbar unter: http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/pv200612-de.html

Waltraud Bayer, Gerettete Kultur: Private Kunstsammler in der Sowjetunion, 1917-1991. Turia + Kant, Wien 2006, ISBN 978-3-85132-463-1

Weitere Information: www.waltraudbayer.at

Wissenschaftlicher Kontakt: Dr. Waltraud Bayer Universität Graz
Institut für Geschichte Mozartgasse 3

8010 Graz
T +43 / 676 / 6022601
E waltraud.bayer@aon.at (waltraud.bayer@uni-graz.at)

Wien, 18. Dezember 2006

Der Wissenschaftsfonds FWF: Mag. Stefan Bernhardt
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